Wintergedanken

Kälte wird unser Land nun wieder überziehen
Ist es nicht schon kalt genug bei uns
In der ganzen Welt
Mich friert es, wenn ich bei der Türe
hinausgehe
Alleine der Blick ins Kalte läßt meine Glieder zu Eis
erstarren

Keiner kümmert sich um mich
Keiner kümmert sich um all die anderen
Keiner, einfach keiner
„Wir machen euch ja nichts“
(also auch nichts Gutes)

Jeder läßt jeden erfrieren
Wenn irgendwo ein kleines Feuer brennt
Schubst man die anderen noch in den Schnee
Um nicht selbst zu erfrieren

„Die kümmern sich schon um sich selbst
Um mich kümmert sich ja auch keiner“

Wieder schneit es
Bunte Flöckchen
Gelb von Weihnachten, endlich wieder Geschenke
Rot vom Blut der Kriege
Grün von stinkenden Müllhalden und Kunstdünger
Blau von Versprechungen die man wieder vom Himmel lügt
Schwarz von Haß
Neid und Gier
Groß vom Hunger der anderen
Und doch klein von der eigenen Intelligenz

Und wenn du genau hinsiehst
Erkennst du ein winziges Funkeln
Wie mit einer Nadel gestochen
An einem langen, langen,
pechschwarzen Tunnel
Der den Schimmer von Hoffnung symbolisiert
Die wir haben, wenn wir uns alle wenigstens
Ein Gramm Liebe schenken würden
Wenn man sich selbst leiden kann
Und einen Ruck gibt um mitzuhelfen
ein wenig Leid dieser Welt
vom Erdboden verschwinden zu lassen

Sebastian Herbig, 1998